Klostergeschichte
von Dr. Edwin Ernst Weber
Inzigkofen ist von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts der Sitz eines Frauenklosters, das mit seiner wirtschaftlichen Bedeutung sowie seiner spirituellen und kulturellen Strahlkraft seine Umgebung ein halbes Jahrtausend lang nachhaltig prägt. Vom besonderen Rang des Inzigkofer Augustinerchorfrauenstifts in der klösterlichen Welt Oberschwabens künden bis heute spätmittelalterliche Handschriften im Geist der Mystik, eine reiche künstlerische Hinterlassenschaft, qualitätsvolle Klosterarbeiten aus der Barockzeit, eine gehaltvolle Quellenüberlieferung zu Alltag und Frömmigkeit des Konvents und nicht zuletzt ein weitgehend unverfälscht erhaltenes bauliches Erbe mit Zeugnissen von der Gotik über das Barock bis zum Frühklassizismus.
Die der Klosterchronik zufolge 1354 von zwei Sigmaringer Bürgertöchtern gegründete und 1356 erstmals urkundlich genannte Frauengemeinschaft erlebt im Spätmittelalter einen durchaus ungewöhnlichen Aufstieg von einer armen Beginenklause zu einem vornehmen und geistlich angesehenen Frauenkloster. Möglich wurde die Inzigkofer Erfolgsgeschichte zum einen durch die Protektion und Förderung adliger, stadtpatrizischer und geistlicher Stifter und Wohltäter, unter denen dem in Dietfurt ansässigen Niederadelsgeschlecht von Reischach und dem von diesem abstammenden Kanoniker Michael von Reischach eine besondere Bedeutung zukommen. Zum anderen gewinnt die seit 1394 nach der Augustinerregel lebende Frauengemeinschaft durch den Anschluss an die Reformbewegung innerhalb ihres Ordens sowie die Pflege einer mystisch bestimmten Frömmigkeit im 15. und 16. Jahrhundert ein hohes spirituelles Prestige und eine starke Anziehungskraft zunehmend auch für Frauen aus dem hohen und niederen Adel sowie dem wohlhabenden städtischen Bürgertum.
Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts kann das Kloster Inzigkofen eine ausgedehnte Grundherrschaft mit 1626 schließlich 44 Lehenshöfen aufbauen, deren Abgaben zusammen mit weiteren Feudaleinkünften, einer ertragreichen klösterlichen Eigenwirtschaft, den Mitgiften neu eintretender Novizinnen, den Zinsen einer zeitweise umfangreichen Geldwirtschaft sowie dem Erlös aus dem Verkauf von Klosterarbeiten die materielle Grundlage für ein zunehmend strenges Klosterleben in Kontemplation und Klausur bieten.
Der Aufstieg Inzigkofens zu einem wohlhabenden Stift von regionalem Rang ist auch an den fünf Ausbauphasen der Klosteranlage vom ausgehenden 14. bis ins endende 18. Jahrhundert ablesbar. Im Erscheinungsbild der Klosteranlage bis heute dominierend sind die mit den Stiftungen des Michael von Reischach finanzierten Bauten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit dem spätgotischen „Mesnerhaus“ sowie die nach dem 30jährigen Krieg errichtete frühbarocke Dreiflügelanlage nebst Klosterkirche. Spätestens seit der Barockzeit besteht in Inzigkofen eine kleine „Klosterstadt“, die, eingefasst von der 1728/29 errichteten 900 Meter langen äußeren Klausurmauer, neben Kirche und Konventsbezirk auch ein Gästehaus, eine Beichtigerunterkunft, diverse Wirtschaftsgebäude und nicht zuletzt ausgedehnte Gärten umfasst.
Die klösterliche Gemeinschaft von im 18. Jahrhundert zumeist um die 40 Nonnen teilt sich in eine Zweidrittel-Mehrheit der eigentlichen Chorfrauen und eine kleinere Gruppe der Vor- oder Laienschwestern. In einer deutlich ausgeprägten Zwei-Klassen-Gesellschaft widmen sich die „Frauen“ zur Gänze dem geistlichen Leben und haben in unterschiedlichen Ämtern Anteil an der klösterlichen Selbstverwaltung, während bei den Laienschwestern hauswirtschaftliche Aufgaben im Vordergrund stehen. An der Spitze des Klosters steht die in freier Wahl der Chorfrauen auf Lebenszeit bestimmte Pröpstin als geistliche und weltliche Vorsteherin der Gemeinschaft.
Charakteristisch für das klösterliche Leben in Inzigkofen ist zumal seit der Annahme neuer Statuten 1643 eine rigoros gehandhabte Klausur mit einer strengen Abgrenzung zur äußeren „Welt“. Zur Strenge der Alltagsführung gehören gleichermaßen die konsequente tägliche Begehung der acht kanonischen Gebetszeiten einschließlich der die Nachtruhe zweiteilenden mitternächtlichen Mette, wöchentliche und saisonale Fastenzeiten, verschiedene Bußpraktiken sowie zusätzliche freiwillige Gebetsverpflichtungen und ausgedehnte Anbetungszeiten vor dem ausgesetzten Altarsakrament bei Tag und bei Nacht. Berühmt ist das Kloster Inzigkofen für sein anspruchsvolles Musikleben, seine qualitätsvollen Klosterarbeiten und für seine Bibliothek.
In dieser Frauenwelt mit ihrer weitreichenden Autonomie besitzen gleichwohl vier Männer einen ganz erheblichen Einfluss: Der Beichtiger mit seiner Schlüsselrolle in der innerklösterlichen „Gruppendynamik“ und Frömmigkeitspraxis, der vom Vorsteher eines Augustinerchorherrenstifts gestellte Visitator als Aufseher und Ratgeber, der Bischof von Konstanz als kirchliche Gerichtsinstanz und Schutzherr des Stifts und schließlich der weltliche Ortsherr und Schutzvogt des Klosters.
Mit der Säkularisation von 1803 geht der reiche Besitz des Stifts an den Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen über, der den Schwestern ein Bleiberecht mit Pensionszahlungen bis zum Tod der letzten Nonne 1856 einräumt. Mit der Aufhebung des Klosters beginnt die 200jährige „fürstliche Zeit“ Inzigkofens: Der bekannten Sigmaringer Fürstin Amalie Zephyrine und gleichermaßen ihrem Enkel Erbprinz Karl Anton dient das zu einem Landschlösschen umgestaltete frühere Kloster-Amtshaus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Sommerresidenz, der angrenzende Hangbereich zu beiden Seiten der Donau wird zu einem romantischen Landschaftsgarten umgeformt. Die Konventsbauten selbst werden von 1939 bis 1944 als Lager für den weiblichen Arbeitsdienst genutzt, seit 1948 dienen sie der Volkshochschule als Stätte der überregionalen Erwachsenenbildung mit Übernachtungsmöglichkeit in den ehemaligen Nonnenzellen. 2002 geht die gesamte Klosteranlage innerhalb der Klausurmauer durch Kauf an die Gemeinde Inzigkofen über, im Jahr darauf die Klosterkirche durch Schenkung an die katholische Filialkirchengemeinde.